Plage Noire 2025 – Ein Wochenende zwischen Sturm, Schwarz und Strandnebel

Es gibt Festivals, die brennen sich in die Seele wie Narben – und dann gibt es das Plage Noire, das nicht brennt, sondern langsam glimmt. Es knistert wie eine Kerze im Wind, flackert gegen die rauen Böen des Spätherbstes an der Ostseeküste und schafft es trotzdem, jedes Jahr aufs Neue eine ganz eigene Art von Magie zu erzeugen.
Doch 2025 ist etwas anders. Die Dünen stehen noch, die Wellen rauschen wie immer gegen die Steine, die schwarzen Gestalten wandern wie Geister über die Wege zwischen Apartments, Bühnen und Meer – und dennoch spürt man schnell: Dieses Jahr fehlt etwas.
Nicht musikalisch, nicht stimmungstechnisch – aber atmosphärisch. Der Mittelaltermarkt, der früher wie ein kleines Paralleluniversum wirkte, fehlt schmerzhaft. Viele der liebgewonnenen Gimmicks, Ecken & Nischen? Verschwunden oder geschrumpft. Fast so, als hätte der Herbstwind sie einfach mitgenommen.

Und doch:
Die Bands liefern. Die Akkustik sitzt. Das Wetter ist erstaunlich gnädig.
Und zwischen Modenshows, Lesungen und Konzerten entfaltet sich ein Wochenende, das sich am Ende doch wieder ins Gedächtnis schleicht – wenn auch mit einem bittersüßen Nachgeschmack.

Modenshows & Lesungen – zwischen Zwang und Zauber

Natürlich gehören auch die Modenshows dazu – in diesem Jahr jedoch mit einem etwas merkwürdigen Beigeschmack.
Sie wirkten… nun ja… ein wenig gezwungen.
Fast so, als müsse man das Programm künstlich strecken, um Lücken zu füllen, die früher durch Märkte und bunte Nebenschauplätze belegt waren. Optisch waren sie beeindruckend, aber der Funke sprang nicht bei jedem über.

Ganz anders die Lesungen.
Diese waren nicht nur herausragend besucht, sondern auch humorvoll, lebendig, nahbar – richtige Highlights im kleineren Rahmen.
Sie gaben dem Festival etwas, das dieses Jahr besonders wichtig war: Wärme.

Freitag, 14. November

14:30 – Future Lied To Us

Den musikalischen Auftakt macht Future Lied To Us, ein act, der mit seinem melodischen Future-Pop ganz sanft die ersten Schatten des Festivals begrüßt. Ihre Soundlandschaften wirken verträumt, schimmernd, wie ein Nebelschleier über dem Weissenhäuser Strand. Gerade in den frühen Nachmittagsstunden bringt ihre Musik diesen ruhigen Vibe – als Moment des Innehaltens, bevor die Nacht sich entfaltet. Für mich war ihr Set ein kleiner, fast zerbrechlicher Anker, eine Erinnerung daran, dass das Plage Noire nicht nur Dunkelheit, sondern auch Melodie ist.

17:00 – Any Second

Kurz bevor der Abend anzieht, betritt Any Second die Bühne in der Salle de Fête mit ihrem kompromisslosen Electro-Industrial. Ihre harten Beats und mechanischen Rhythmen wirken wie eine Maschine, die langsam hochfährt – perfekt für den Übergang vom ruhigen Nachmittag in die kraftvollere Impression des Abends. Ihre Performance war direkt, energisch, mit viel Schub und genügend melodischem Gewicht, um auch die tanzwütigen Seelen im Zelt ins Schwitzen zu bringen.

17:15 – Gothminister

Fast direkt anschließend erhebt sich Gothminister im großen Zelt („Le Chapiteau“) wie ein dunkler Prediger. Ihre Show ist theatralisch, visuell opulent – man bekommt eine Performance, die mehr ist als ein Konzert: Ein Rituale, eine Inszenierung. Die Bühne wird zu einer mystischen Bühne, auf der Schatten tanzen, Kostüme leuchten und jedes Lied sich anfühlt wie ein Aufruf. Besonders in dieser Zeltatmosphäre war ihre Präsenz monumentaler, als man es von einem Indoor-Festival erwarten würde.

18:45 – Ashbury Heights

In der Salle de Fête übernehmen Ashbury Heights mit ihrem melodischen, glitzernden Synth-Goth-Pop. Ihre Songs bieten dieser Phase des Festivals einen sehr angenehmen Kontrast: weniger theatralisch, mehr verspielt, mit tiefer Emotionalität. Es entsteht ein Moment, in dem man fast vergessen kann, dass draußen der Novemberwind weht und dass die schwarzen Mäntel um einen herum so dicht sind.

18:45 – Wiegand

Zur gleichen Zeit, parallel auf „La Rotonde“, performt Wiegand, der Synthpop mit eingängigen Melodien und emotionalem Fundament mischt. Auch wenn ich persönlich nicht dort war, um ihn zu erleben, berichten viele Festivalbesucher von stimmungsvollen Momenten – Melodien, die im Raum schweben, Stimmen, die sich fast lautlos in die Abenddämmerung einfügen. Ein ruhiger Gegenpol zu den düstereren Acts.

19:15 – Letzte Instanz

Wieder zurück im Chapiteau: Letzte Instanz liefern eine sehr „klassische“ Performance mit Mittelalter-Rock-Vibes, emotionalem Pathos und kräftigen Arrangements. Ihre Mischung aus Geige, Gitarren und Gesang erzeugt ein Klangbild, das zum Nachdenken einlädt, gleichzeitig aber die Menge zum Mitsingen und Bewegen bringt. Es war einer der Momente, in denen man spürte, dass das Plage Noire auch von Tradition und Melodie lebt – nicht nur von Härte und Dunkel.

20:45 – Das Ich

Zurück in der Salle de Fête übernahmen Das Ich mit ihrer düster-poetischen Art das Kommando. Die Band schafft es immer wieder, ihre Musik wie eine Mischung aus Spoken Word, Industrial und Theater zu inszenieren – in diesem Rahmen besonders eindrucksvoll. Ihre Performance war intensiv, fast introspektiv, und bot einen Moment, in dem viele Besucher innehalten, zuhören und die Tiefe der Lyrics und Sounds wirklich aufnehmen konnten.

21:15 – Deine Lakaien

Ein ganzer Meilenstein des Abends: Deine Lakaien im Chapiteau, mit Veljanov und Ernst, liefern ein Set, das ästhetisch, minimalistisch und gleichzeitig emotional mächtig ist. Ihre Musik ist wie ein schwarzer Mond, der über dem Festivalgelände aufsteigt – poetisch, dunkel, mit eleganter Melancholie. Für viele Besucher war das einer der Höhepunkte, weil hier nicht nur Klang, sondern auch Gefühl transportiert wurde.

22:45 – [:SITD:]

Kurz nach dem Lakaien-Set übernimmt [:SITD:] in der Salle de Fête und bringt mit ihrem elektronischen Industrial eine ganz andere Energie zurück. Mehr Kraft, mehr Druck, mehr Bewegung – ihr Set ist ein eiskalter Schlag in den Bauch, ein tanzbarer Sturm aus Maschinenbeats. Perfekt, um die Tanzfläche noch einmal zum Glühen zu bringen, bevor es in die letzte Runde des Abends geht.

22:45 – Xotox

Zur gleichen Zeit auf La Rotonde: Xotox entfesseln ihren gnadenlosen Minimal-Industrial. Die tiefen Bässe, die scharfen Loops, die unbarmherzige Kälte im Sound – hier zeigt sich eine ganz andere Facette der elektronischen Düsterkeit. Auch wenn ich sie nicht live gesehen habe, war für viele dieser Act ein Moment echten Eskalierens: technisch, laut, & kompromisslos.

23:30 – VNV Nation

Den Abend krönt VNV Nation im Chapiteau mit einem Headliner-Set, das so monumental ist, dass man es kaum in Worte fassen kann. Ronan Harris setzt seine Stimme zu Hymnen ein, die von Emotionalität, Nostalgie und Herzschlag leben. Der Mix aus treibenden Beats, melancholischen Melodien und mitreißenden Drop-Momenten ist schlichtweg magisch. In diesen Momenten fühlt man sich verbunden – mit den anderen Festivalgängern, mit der Musik, mit dem schwarzen Puls dieses Ortes. Ein Abschluss, der das erste Festival-Fenster in eine große, dunkle Nacht hinein öffnet.


Samstag, 15. November

14:00 – Scarlet Dorn

Der Samstag startet mit Scarlet Dorn in der Salle de Fête – ihre Stimme ist kraftvoll, symphonisch, getragen… eine perfekte Einführung in einen weiteren intensiven Tag. Es fühlt sich an wie ein Sonnenaufgang über dunklem Meer: stark, klar, verheißungsvoll.

14:15 – Schandmaul

Fast nahtlos danach: Schandmaul, angelehnt an mittelalterliche Folklore, aber mit rockiger Wucht. Ihre Show bringt akustische Instrumente, erzählerische Texte und eine spürbare Nähe zu ihren Fans mit. Es ist, als würden sie eine alte Legende neu erzählen – am Strand, unter grauem Himmel, mit jeder Note ein bisschen Wind im Rücken.
Für mich war das ein emotionaler Ankerpunkt – ein schöner, lebendiger Teil der schwarzen Szene, der tiefer geht als viele andere Acts.

15:15 – The Halo Trees

Auf La Rotonde spielen The Halo Trees, Indie Rock mit dunkler Seele. Ihre Songs wirken wie melancholische Gedichte, begleitet von sanften Gitarren, fast filigran. In dieser frühen Nachmittagszeit sind sie wie ein Moment des Durchatmens – eine Insel, auf der man stehenbleiben und den Horizont beobachten kann.

16:00 – Eden Weint Im Grab

Zurück im Salle de Fête präsentiert Eden Weint Im Grab ihre sehr literarisch-düstere Dark-Metal-Poesie. Ihre Musik ist voller Bilder, voller Schmerz, voller Schönheit. Live wirkt es, als würden sie die düstersten Ecken der Seele beleuchten – und das Publikum ist gebannt, flüstert in Gedanken, lacht leise mit, nickt, schließt die Augen.

16:15 – Oomph!

Im Chapiteau übernimmt Oomph! mit einer mitreißenden, mechanischen Energie. Ihre Musik ist kraftvoll, modern, aggressiv, aber auch überraschend melodisch, wenn man genau hinhört. Ihre Show hat ein Momentum, das einen mitreißt, das einen zwingt, nicht nur zuzuschauen, sondern mitzugehen. Ein echtes Highlight des Samstags.

17:15 – Synthattack

Auf La Rotonde entlädt Synthattack elektronische Härte. Ihre Kombination aus treibenden Rhythmen, kühlen Synths und unbarmherziger Struktur erzeugt eine fast militärische Präzision im Sound. Für Fans von Industrial und EBM ist das ein fester Ankerpunkt im Programm – hart, dunkel, unbesiegbar.

18:00 – Lacrimas Profundere

In der Salle de Fête bringen Lacrimas Profundere ihre Mischung aus Gothic Rock und emotionaler Tiefe auf die Bühne. Ihre Musik klingt wie ein langer, elegischer Monolog über Verlust, Liebe und dunkle Erinnerungen – live von sanften Gitarrenphrasen getragen, von Wucht begleitet. Ein Moment, der unter die Haut geht.

18:15 – Nitzer Ebb

Zur gleichen Zeit explodiert auf Le Chapiteau Nitzer Ebb mit EBM-Klas­serikern. Ihr Sound ist elektrisch, mechanisch, pulsierend – als wäre man im Maschinenraum eines alten Fabrikschiffs, das mitten im Nebel dampft. Es ist präzise, militant, treibend – und das Publikum reagiert mit voller Kraft: Tanz, Arme, Taumeln, absolute Hingabe.

19:15 – Oul

Dann wieder auf La Rotonde: Oul spielt Dark Rock mit cineastischem Ansatz. Ihre Performance ist sehr atmosphärisch, fast meditativ, und ihre Kompositionen tragen eine Tiefe, die man live noch stärker spürt als auf Platte. Für mich war das ein ruhiger, aber kraftvoller Moment: Dunkel, aber nicht laut; emotional, aber solide.

20:00 – Suicide Commando

Zurück in der Salle de Fête bringen Suicide Commando den Hammer aus der Dunkelkammer. Ihre Musik ist düster, fies, gnadenlos – ideal für den Abend, wenn die Schatten länger werden und die Stimmung elektrisch. Der Puls steigt, die Tanzfläche bebt, und man merkt sofort: Hier kommt kein sanftes Lied, sondern ein Urteil.

20:15 – Veljanov

Im Chapiteau übernimmt Veljanov in einem sehr eindrucksvollen Solo-Set. Seine Stimme, sein Duktus, sein Ausdruck – alles wirkt sehr persönlich, sehr nah. Seine Songs nehmen das Publikum mit auf eine introspektive Reise, eine kleine Auszeit zwischen den härtesten Beats des Tages.

21:15 – Wiegand (zweiter Slot)

Zurück auf La Rotonde spielt Wiegand noch einmal – und auch beim zweiten Mal gelingt es der Band, das Publikum mit synthigen, eingängigen Melodien zu fesseln. Es ist, als würde man vertrauten Freunden lauschen, die eine Geschichte erzählen, die man bereits kennt, aber jedes Mal wieder neu miterlebt.

22:00 – Neuroticfish

In der Salle de Fête nimmt Neuroticfish das Ruder in die Hand und segelt mit melodischer, elektro-getriebener Musik über das Publikum hinweg. Ihre Songs sind eingängig, die Beats tanzbar, aber nicht billig – man kann zuhören, man kann tanzen, man kann beides zugleich, und die Mischung ist perfekt für den späteren Abend.

22:15 – Frozen Plasma

Zum Abschluss betritt Frozen Plasma die Bühne im Chapiteau. Ihre Synthesizer-Wände, ihre emotionalen Melodien und ihre dichten Arrangements formen eine letzte große Klangwelle, die das Festival elegant ausklingen lässt. Es ist kein simpler Vorhang, sondern ein sanfter Wellenschlag – der letzte Ton, bevor das Wochenende in die stille Nacht gleitet.

Fazit

Unterm Strich war das Plage Noire 2025 wieder ein stimmungsvolles, atmosphärisch dichtes Wochenende, das gezeigt hat, warum sich diese kleine, schwarze Enklave an der Ostseeküste Jahr für Jahr wie ein Heimathafen für die Szene anfühlt. Die Bands lieferten nahezu durchgehend starke Performances ab – präzise, emotional, authentisch. Die Akkustik auf allen Bühnen war hervorragend, das Wetter spielte mit, so gut es ein nordischer November überhaupt zulässt, und das Publikum trug wie immer seinen ganz eigenen Zauber bei: stilvoll, respektvoll, leidenschaftlich.

Gleichzeitig konnte man allerdings nicht ignorieren, dass das Festival in einigen Punkten „schmaler“ wirkte als in früheren Jahren. Der fast komplett verschwundene Mittelaltermarkt hinterlässt eine Lücke, die sich weder durch Modenshows noch durch Merchandise-Stände schließen lässt – besonders, wenn jene Modenschauen dieses Mal stellenweise eher bemüht als inspirierend wirkten. Auch die üppigen Terminüberschneidungen machten es schwer, jede Wunsch-Band mitzunehmen, und ließen manche Running Order unnötig gehetzt erscheinen.

Aber trotz dieser kleinen Schattenmomente bleibt das Plage Noire ein Ort, an dem Atmosphäre, Musik und Gemeinschaft überwiegen. Ein Festival, das mit seinen starken Konzerten, den großartigen Lesungen und der unvergleichlichen Küstenkulisse einmal mehr bewiesen hat, dass es zu den besonderen, einzigartigen Events der dunklen Szene gehört. Und wenn die Veranstalter die verlorenen Elemente in Zukunft wieder stärker aufleben lassen, könnte dieses Wochenende erneut zu dem Glanz zurückfinden, den viele so lieben. Bis dahin gilt: Vieles war anders – aber das Herz des Plage Noire schlägt noch immer kraftvoll unter der schwarzen Brandung.